Die Belagerungen der Prosnitzer Schanze

Seit 1628 ist die Stralsunder Umgebung von einer komplexen fortifikatorischen Landschaft geprägt. Seepässe, Landengen, strategische Höhen und Landspitzen boten Angreifer wie Verteidiger gewisse Vorteile, wurden befestigt – und angegriffen. Für die Prosnitzer Schanze auf Rügen, südöstlich von Stralsund, direkt am Sund gelegen, traf das gleich zwei mal zu: 1630 und 1677, Was ist von diesen zwei Belagerungen heute noch zu sehen?
Die Belagerung von 1630
Über die Kampfhandlungen gibt es nach aktuellem Stand drei Bildquellen: zwei Karten und eine Darstellung auf einem Flugblatt. Hinzu kommen schriftliche Überlieferungen, die durch Otto Fock Ende des 19. Jahrhunderts zusammengetragen wurden. Dies bildet im Grunde auch die Basis des bisherigen Forschungsstandes ab, eine gründlichere Revision ist seitdem nicht erfolgt.
Fassen wir zunächst die Ereignisse grob zusammen: Als Wallenstein Stralsund belagerte bzw. belagern ließ, ordnete er den Bau von Schanzen an – an beiden Ufern des Sundes, südlich der Stadt und an der engsten Stelle. Es entstanden im Sommer 1628 eine Schanze bei Brandshagen, evtl. dort, wo heute der Strommast an der Küste steht, und die Prosnitzer Schanze, die damals aber wohl Gustower oder Neue Fährschanze genannt wurde. Nach der Aufgabe der Belagerung und der damit einhergehenden Rückeroberung kaiserlicher Vorposten und Stellungen galt es dementsprechend auch die Neue Fährschanze zu belagern und einzunehmen. Hierzu wurden schottische Truppen (zu den Schweden gehörig) eingesetzt unter dem Kommando des Obristen Lesley. Rund 2000 Mann und mehrere Geschütze soll dieser unter seinem Befehl gehabt haben. Eine Abteilung lagerte im Norden der Schanze, eine andere im Osten. Zumindest das nördliche Lager war offenbar befestigt. Zunächst wurden Sappen nach vorn getrieben, daran anschließend Batterien für die Kanonen gebaut. Während des Baus wurden die Schotten und die aus Stralsund geschickte Blockadeflottille von beiden Schanzen aus beschossen. Am 9. Juni kam es dann zu einer Verkettung von Ereignissen, mit denen beide Parteien wohl nicht gerechnet hätten. Die Brandshagener Schanze schaffte es die schwedischen Boote zu vertreiben, sodass ein Prahm mit Verstärkung und Munition übersetzen sollte. Nun mussten die Schotten mit aller Macht den Entsatz verhindern und drangen mit Musketieren nach vorn, zwischen Strand und Schanze. Es gelang ihnen die Boote zu vertreiben, dabei entspann sich ein Gefecht mit der Besatzung. Weitere Kräfte kamen zur Unterstützung und mit diesem Schwung gelang es überraschend die gesamte Schanze einzunehmen.
Die Belagerung von 1677
Bis 1677 wurde die Schanze grundlegend umgebaut und erweitert. Es gibt jedoch bisher keinen Plan, der genau bezeichnet, in welcher Größenrelation beide Anlagen standen. Fest steht nur, dass die aktuellen Wälle in ihrer Grundlage in etwa dem entsprechen, was im 17. Jahrhundert gebaut wurde. Diese neue Schanze wurde dann 1677 belagert. Die politischen Konstellationen, die zu diesem Konflikt führten, lassen wir an dieser Stelle beiseite und halten nur fest, dass Brandenburg und Dänemark gemeinsam Schweden bekämpften. Wie schon 1630 nahm man nördlich und östlich Positionen ein, um von dort die Schanze zu beschießen und sich voran zu arbeiten. Hierzu gibt es mehrere Bildquellen und Berichte. Sie bieten als Ganzes genommen vielfältige Erkenntnisse, aber auch so manchen Widerspruch. Die Belagerung als solches taucht nur am Rande auf und muss mehr oder weniger kleinschrittig rekonstruiert werden. In den Wilhelmshöher Kriegskarten findet sich bspw. eine Darstellung, die die Angriffsgräben zeigt und auch genau die Artillerie benennt. Auf Pommerscher Seite wird eine Batterie aufgeführt, die dann aber erst in einem schwedischen Bericht erwähnt wird. Dieser wiederum zeigt in der angehängten Karte eine Batterie nördlich der Schanze, die woanders fehlt. Auch das Vorhandensein einer Konterschanze auf der Anhöhe östllich der Prosnitzer Schanze wird nur gelegentlich gezeigt/erwähnt. Dadurch, dass einige Details nicht gegenseitig bestätigt werden, ist eine gewisse Skepsis angebracht, inwieweit die jeweiligen Quellen akkurat die Realität darstellen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wohl eine Batterie nördlich der Prosnitzer Schanze bestanden hat und eine Konterschanze auf der östlichen Anhöhe. Eine Geschützbatterie für sieben 12-pfündige Kanonen und zwei Mörser befand sich zwischen den beiden Schanzen. Auf der Halbinsel Devin gab es eine weitere Batterie, die die Schanze deckte.
Spurensuche

Abb 1: “Battaille so auf Rügen zwischen der schwedischen und dänischen Armee beij der Newfehr Schantz anno 1678 den 8 Januarij gehalten: auf schwedischer Seiten commandirte der Herr Feldmarschal Graf Otto Wilhelm Königsmarck auf dänischer Seiten commendirte der Hr. Gen. Major Rumor.”, SE/KrA/0437/8 3, https://sok.riksarkivet.se/bildvisning/K0038431_00001#?c=&m=&s=&cv=&xywh=1342%2C1728%2C7505%2C4034.
Die Suche nach Kampfspuren verlief jahrelang ergebnislos. Trotz guter Karten mit ausreichend Hinweisen war im Gelände nichts zu finden. Dabei gab es durchaus mehrfach Funde von Blei- und Kanonenkugeln. Nicht verwunderlich, aber doch irritierend, dass gerade in einer kaum wirtschaftlich bearbeiteten Gegend weder über LIDAR noch durch Luftbildauswertung irgendetwas zu finden war. Die zugrundeliegende Hypothese war, dass bei beiden Belagerungen von denselben Positionen aus gestartet wurden, dass also im Norden die Geschützbatterie und das Lager; im Osten die bastionierten Konterschanzen/Lager “übereinander” liegen müssten.
Mit der Entdeckung eines Plans aus dem schwedischen Reichsarchivs (Abb. 1) Ende 2024 kamen neue Hinweise, die schlussendlich für den Durchbruch sorgten. Eine extrem umfassende und detaillierte Darstellung der Schlacht vom 8. Januar 1678 zeigt die Reste einer großen Verschanzung östlich der Prosnitzer Schanze, die bis dahin nur grob erwähnt und damit nicht zuverlässig überliefert war. Anhand dieser Quelle konnte die Existenz jedoch gesichert angenommen und präzise verortet werden. Auf den ersten Blick boten die Luftbilder keinen Anhaltspunkte, bis sich bei genauerer Betrachtung eine grob bastionäre Linie abhob, die sich nach ihrer Entdeckung auf fast allen anderen verfügbaren Satellitenbildern bestätigte (Abb. 2). Auch ein präzises Geländemodell, vom LAKD-MV bereitgestellt, lässt noch leichte Höhenzüge erahnen, die auf eine bastionäre Befestigung hindeuten. Einige wenige Scherbenfunde vor Ort scheinen den Eindruck zu verstärken. Bei der nördlichen Batterie sah es etwas schwieriger aus. Der Hügel, auf dem sie gelegen haben muss, ist eindeutig auszumachen, aber sowohl auf Luftbildern als auch öffentlich zugänglichen Lidarscans nichts eindeutiges zu finden. Erst das qualitativ hochwertige Bild des LAKD konnte minimalste Höhenveränderungen anzeigen, die die Position der Batterie (und ggf. der kleinen vorgelagerten Schanze) bestätigen.
Eine Begehung im Gelände bestätigte die Vermutung auch hinsichtlich der topografischen Gegebenheiten. Die Konterschanze lag auf einem kleinen erhöhten Plateau mit freier Schussbahn zur Prosnitzer Schanze, durch die vorgelagerte Anhöhe selbst halbwegs gedeckt. Von dort aus senkt sich das Gelände sachte zum Morast hin.
Dieses abfallende Gelände wiederum weist an mehreren Stellen kleine Kuppen auf, die sich zur Anlage von Geschützbatterien anboten. Ebenjene finden sich auf den Darstellungen und Plänen. Die lange Batterie muss tatsächliche eine gewisse Breite aufgewiesen haben, um sieben Kanonen aufstellen zu können. Die Mörser wurden vermutlich dahinter aufgestellt (die Linie unmittelbar hinter der Batterie in Abb. 1). Entsprechend des Plans müsste sie direkt am Morast bzw. auf der nächsten Erhöhung gelegen haben. Für die erstere Annahme spricht eine deutliche Ausbuchtung im Gelände mit einem auffälligen Rand, der als ehemalige Brustwehr interpretiert werden kann. Die zweitere Annahme führt wenige Meter östlich auf die nächstliegende Erhöhung, wo sich auffällige Farbveränderungen im Satellitenbild ausmachen lassen. Genauer kann die Lage momentan nicht eingeschätzt werden. Zusammengefasst (Abb. 3): Die nördliche Geschützbatterie lag etwa 580 Meter von der Prosnitzer Schanze entfernt (A), die östliche rund 350-410 Meter (B). Bei B kommen zwei Positionen in Frage, direkt an der Geländekante zum Morast und wenige Meter östlich auf der nächsten Anhöhe. Die Konterschanze lag etwa 720 Meter östlich der Prosnitzer Schanze.

Abb. 4: “Plahn von der Neven Vehr In landt zu Rügen.”, SE/KrA/0425/02/064, https://sok.riksarkivet.se/bildvisning/K0037469_00001#?c=&m=&s=&cv=&xywh=-541%2C2991%2C4588%2C2466.
Die Kampfhandlungen von 1630 lassen sich eigentlich geografisch präzise zuordnen. Im schwedischen Reichsarchiv lagern zwei nahezu identische und mutmaßlich präzise Karten, die die Gefechtsberichte unterstützen, wahrscheinlich sogar für genau diese erstellt wurden (Abb. 4). Norden liegt hier rechts. Man sieht die alte Prosnitzer Schanze mit einem Kernwerk und einem umfassenderen Vorwerk, verstärkt mit Pallisaden, zur Seeseite mit einer Art Steg versehen, sodass Boote anlegen konnten. Angriffsgräben, Schanzen und Batterien nähern sich. Wenn der Plan wörtlich ausgelegt werden kann, befanden sich in der nördlichen Stellung mindestens drei Geschütze, östlich vier auf zwei Batterien verteilt. Zu sehen sind zudem die topografischen Besonderheiten, d.i. der Morast im Zentrum der Karte. Am Rand liegen die beiden Lager, bezeichnet mit dem jeweiligen Kommandanten. Ein Maßstab ist angegeben. Sobald man jedoch diese scheinbar präzise Karte über die aktuelle Situation legen möchte, gibt es keine Referenzpunkte mehr. Wenn die natürlichen Gegebenheiten genutzt werden, deckt sich jeweils nur eine Uferkante. Nimmt man die Prosnitzer Schanze, dann führt dies zu Widersprüchen mit den Lagern. Man kann den Plan also nur als Situationsskizze nehmen, der Maßstab scheint eher Richtwertcharakter zu besitzen. Demnach bleibt nur die logische Herleitung der Positionen.
Wir wissen, wo die Prosnitzer Schanze liegt, also haben wir einen Ausgangspunkt, der Morast lässt sich auch zuordnen. Insofern lässt sich rückschließen, wo die Gräben und Lager angelegt wurden. Dies erweist sich jedoch als gar nicht so einfach, wenn man annimmt, dass dieselben Positionen wie 1677 genutzt wurden. Ausgangspunkt der Übelegungen war die östliche “Front”. Da die Batterien und der Angriffsgraben direkt an der Geländekante liegen und genau diese noch heute zu sehen ist, gibt es einen klaren Bezugspunkt und einen Abstand zur Schanze. Etwa 400 Meter dürften die östlichen Batterien demnach von der Schanze entfernt gewesen sein. Laut Skizze müsste also auch das nördliche Lager in ungefähr dieser Entfernung zu finden sein. Und tatsächlich findet sich dort, also viel näher als vorher angenommen, eine auffällige Form als Bewuchsmerkmal. Diese Anomalie deckte sich später mit minimalsten Höhenunterschieden im hochauflösenden Lidarscan des LAKD. Die eigentlichen Angriffsschanzen lagen also nur rund 150-250 Meter von der Schanze entfernt. Von diesen gibt es im Bewuchs bzw. Geländemodell keine genauen Spuren. Mehrere Stellen könnten als Schanzenüberreste gedeutet werden, aber ist dies kaum mehr als Spekulation. Auffällig ist nur noch, dass sich östlich auf mehreren Luftbildern eine “Diagonale” abzeichnet, die erstaunlich gut zur Karte passt und damit als Angriffsgraben angesprochen werden kann. Doch wo lag nun das bastionierte Lager östlich der Schanze? Es gibt hierzu keinerlei Hinweise aus der Luft, aber eine Bestätigung im Boden. Etwa 500 Meter östlich der Schanze, auf der ersten größeren erhöhten Ebene (wo später möglicherweise die große Batterie von 1677 stand), lassen sich auf einem beschränkten Areal enorm viele Scherben finden, zu einem großen Teil glasiert, darunter auch Griffe von Bechern oder mit menschlichen Figuren verzierte Stücke. Hier wurde wohl schon in den 1930ern Material gefunden, was zur Hypothese einer Wüstung führte. Wir können nun korrigieren: Keine Wüstung, vielmehr das östliche Belagerungslager von 1630.

Abb. 5: Lage aller Angriffswerke: rot =1630, blau =1677; gestrichelt = Hinweise, aber zu ungenau für eine gesicherte Annahme. Google Earth.
Zusammengefasst (Abb. 5): Die Kämpfe von 1630 und 1677 haben oberflächlich keine Spuren hinterlassen. Aber die Landschaft hat sich über die Jahrhunderte so wenig verändert, dass der Boden seine Hinweise spärlich, aber konstant preisgibt. Beide Lager von 1630 sind in ihrer Lage entweder durch Funde oder optische Befunde klar erkennbar. Während die Linie des östlichen Angriffsgrabens durchscheint, verlieren sich die nördlichen Gräben in den späteren Umbauten, anderen Bodeneingriffen oder schlichter Erosion. In größerer Entfernung wurden die Belagerungswerke von 1677 angelegt. Am deutlichsten heben sich die optischen Relikte der großen Konterschanze in den Luftbildern ab. Flüchtige Spuren finden sich von der nördlichen Batterie, mehrere Möglichkeiten gibt es für die große Batterie östlich der Prosnitzer Schanze. Zusammen mit dem Schlachtfeld östlich von Gustow lassen sich damit umfangreiche Kampfhandlungen rekonstruieren und machen die dortige Halbinsel zu einem immer wieder spannenden Forschungsobjekt.
OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
Tommy Jark (22. April 2025). Die Belagerungen der Prosnitzer Schanze. Fortifica - Digitale Festungsforschung. Abgerufen am 17. Mai 2025 von https://doi.org/10.58079/13s7h